von Luis Meque
Mischtechnik/Papier, 110 x 86 cm
Holzrahmen/Glas, 115 x 90 cm
Provenienz: National Gallery of Zimbabwe, Harare, Zimbabwe 1996
Ausstellungen: "Zimbabwe Heritage", National Gallery of Zimbabwe, Harare 1996;
- "afric apart", Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Berlin 2002
- "Spirit Afrika", Museum Abtei Liesborn, 2021
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Leben in Farben: sinnlich - gestisch - expressiv
1995 entdeckte ich in der National Gallery Zimbabwe zum ersten Mal Arbeiten von Luis Meque, darunter mein Favorit Life on the Line. Der damals 29-Jährige verankert seine malerischen Gesten im Herzen der Metropole Harare. Ohne Ausdifferenzierung von Zeit, Ort und Personen fängt er urbane Szenerien ein, in seinem Fokus vielfach die gestrauchelten und marginalisierten Menschen der Gesellschaft.
In Life on the Line dominieren zwei markante Rückenfiguren. Meque hat sie eng in den vorderen Bildraum gesäumt, sodass ihre Körper in geradezu greifbare Nähe treten. Auf den ersten Blick wirken sie wie ein zusammengehöriges Paar, ein Motiv, das der Künstler mehrfach bearbeitet hat (vgl. u. a. Couple I und II). Die linke kleinere Figur fällt besonders durch die starke Leuchtkraft der Farben auf. Im Schulter- und Armbereich gibt ihr ein dick aufgetragenes und nach unten tropfendes Gelb Volumen und Präsenz. Darunter blitzen an einigen Stellen Wortfetzen aus einer collagierten Zeitung auf, allein die Informationseinheit „loan facility“ (Kreditrahmen) ist gerade noch lesbar.
Durch die Übermalung des Journals entstehen reliefartige Knitter und Falten, die in den Rücken und Gesäßbereich überleiten. Bekleidung - eine Art gewickeltes Tuch - deutet Meque mit breitem Pinselquast durch vier über das Gelb gezogene, lebhaft rote Farbbahnen an. Den Kopf leicht nach links geneigt, scheint die Person ganz im Leseakt versunken zu sein.
Als formale und inhaltliche Mittel nutzt der Maler häufig Leerstellen für Unsichtbares und doch Bildbestimmendes. Diese kaum behandelten Flächen manifestieren sich im weißen, zerschlissenen Gewand der rechten Bildgestalt. Wie ihr linkes Pendant hat Meque sie in sitzender Lesehaltung dargestellt - Figur und Grund sind kaum noch zu trennen. Die Gewebestruktur des ausgefransten Sackleinens zitiert nur noch die Form eines Kleidungsstückes und fällt praktisch mit der Person zusammen. Die textile Oberfläche weist im auslaufenden unteren Bereich kurze harte Striche in schwarz und dunklem Rot auf, darüber wenige schwache Farbflecke in erdigem Ocker. Zwei diagonal gesetzte Quast-Spuren in kraftlosem Schwarzgrau werden durch eine schräg verlaufende Nummer im Gesäßbereich durchbrochen und führen den Blick weiter nach oben zu einer weiteren Variante aus Zahlen und Buchstaben. Die Aufdrucke erinnern an die Kennzeichnung von Transportkisten, die an einen anderen Ort gebracht werden sollen. Als rhythmische Bewegungspur schaffen sie hier eine formale Verbindung zwischen dem Paar und betonen die Anonymität der Gesamtszenerie.
Der Bildgrund des Werks besteht aus einer dreifachen Schichtung: braunem Packpapier, ausgefranztem Rupfen (Hessian) und teilappliziertem Zeitungspapier. Alle Flächen hat Meque mit dünn lasierter oder dick aufgetragener Farbe aus abgemischten Schwarz-Rot-Nuancierungen verbunden.
Der Bildhintergrund erzeugt die Vorstellung eines zeit- und ortlosen Schwellenraums, der einerseits trennt, andererseits jederzeit überschritten werden kann. Ein substanzloser Körper zeichnet sich in der Dunkelheit ab und scheint sich vor einem dahinter liegenden tiefschwarzen Balken unmittelbar aufzulösen. Dabei ändert der expressive Pinsel fortwährend die Richtung, erzeugt Überschneidungen und starke Dynamiken. Alles in dieser Zone mutet amorph und unbestimmt an. Mit Life on the line - Leben auf der Grenze - lässt Luis Meque viel Spielraum für frei flottierende Gedanken.
Autorin: Angelika Sommer