von Sokey Edorh
Mixed Media/Papier/Lw: 48,5 x 38,5 cm
Holzrahmen: 53,5 x 43,5 cm
Provenienz: Sokey Edorh, Cotonou, Benin 1997
Ausstellung: "Sokey Edorh - Le Signes de la Souris", Centre Culturel Français, Cotonou, Benin 1997
Preis auf Anfrage
Im August 2019 hat Kunst Transit Berlin zum ersten Mal das Kunstwerk „Dieu“ von Sokey Edorh vorgestellt. Gerd Koch kommentierte diese Arbeit mit einem Gedicht.
Dieu / Gott
Spricht nicht –
Und spricht
Sieht nicht –
Und sieht
Bleibt im Rahmen –
Und sprengt den Rahmen
*
Weiß es der dreibeinige Antilopen-Schakal?
Weiß es der nicht sichtbare Mensch?
Nun starten wir einen zweiten Versuch, uns dieser Collage von Edorh anzunähern.
Zunächst einmal erblicken wir eine einfache Strichzeichnung, aufgetragen auf ein auf Leinen geklebtes Papier, beide zum Rand hin dunkler getönt, mit bräunlicher Sandfarbe aufgetragen. Diese Farbe erscheint wie ein Aquarell, mit Flecken und zufällig verlaufenden Klebespuren. Inmitten befindet sich eine helle, fast quadratische Zone, darin mehrere kreis- und eiförmige sowie zwei figurative Elemente. Über der Strichzeichnung steht wie ein Titel das Wort „Dieu“.
Um was könnte es Edorh bei dieser Collage gegangen sein? Denken wir zurück an frühere Einlassungen zu dem Künstler. (vgl. Kunstwerk des Monats Februar 2018) Edorhs Striche sind locker und frei. Das Unbekannte, Unerkannte, Unerkennbare bleibt in seiner Zeichnung offen. Alles ist angedeutet, nichts festgelegt, festgefügt. Weiß man jedoch, dass sich der Künstler in den Werken der neunziger Jahre ganz besonders mit den Mythen und der Geschichte der Dogon beschäftigt hat, offenbart die kleine Collage mehrere Aspekte der Gottes- und Welterklärung dieser westafrikanischen Ethnie.
Im Zentrum des Kunstwerks sehen wir zwei eiförmige Zeichnungen. Die Eiform steht bei den Dogon für das Werden alles Seienden aus dem Nichts. Im unendlichen Kosmos bildet sich der Keim „Ammas“ in einem Weltei mit den vier Elementen Wasser, Luft, Feuer, Erde. Ähnlich wie im biblischen Schöpfungsmythos steht am Anfang des Lebens der Logos, das Wort. Amma entwirft in seinem geschlossenen Weltei gedankliche Bilder, die die „Baupläne des künftigen Universums und aller Dinge waren“. [1]
[1] vgl. Marcel Griaule, Schwarze Genesis. Ein
afrikanischer Schöpfungsbericht, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/M. 1980, S. 26ff sowie
Gerald Unterberger, Die Schöpfungsmythen der Dogon. Schöpfung und Urzeit im
Lichte geschlechterantagonistischer Spannung und göttlicher Perfektion des
Zweigeschlechts, in: Tuna el Gebel 9, Weltentstehung und Theologie von Hermopolis
Magna I, Antike Kosmogonien, Beiträge zum internationalen Workshop vom 28.-30.
Januar 2016, Hg. Roberto A. Kías Hernández, Mélanie C. Flossmann Schütze und
Friedhelm Hoffmann, Verlag Patrick Brose, Vaterstellen 2019, S. 144.
Eine der zentralen Fragen dreht sich bei den Dogon, wie in allen Religionen, um die Geschichte der Menschwerdung. Im Unterschied zum Christentum gibt es hier aber nicht nur eine, sondern mehrere, sich teilweise überkreuzende Erzählungen. Eine immer wiederkehrende Geschichte handelt von der Begegnung des Himmels und der Erde. 1947 hat sich der französische Ethnologe und Afrikanist Marcel Griaule diesen Mythos von Ogotemmeli - einem blinden Griot (Erzähler) der Dogon - sinngemäß wie folgt berichten lassen:
„Der Gott Amma nahm ein Stück Ton, knetete es in seinen Händen und warf es von sich. Zuerst fiel es nach oben (in den Norden) und von da aus nach unten (in den Süden). So entstand die Erde als von Norden nach Süden ausgestreckte, ihren Körper dem Himmel zuwendende Frau. Ihr Geschlecht war eine Ameisenhöhle und ihre Klitoris ein Termitenhügel. Amma wollte sich mit ihr vereinigen. Der Termitenhügel richtete sich auf und zeigte seine Männlichkeit. Die Vereinigung wurde nicht vollzogen, vielmehr entstand die erste Unordnung des Universums, Quell aller Übel. Der allmächtige Gott zerschlug den Termitenhügel, vereinigte sich mit der nun beschnittenen Erde und zeugte den Schakal, Symbol der Hindernisse Gottes.“ [2]
Edorh scheint die Dogon-Genesis mit Ausnahme der Figur des Schakals ausschließlich abstrakt wiederzugeben. Dennoch verweisen weitere Elemente in seinem Bild auf die Erzählung dieses Mythos. Das in der Zeichnung auf dem Rücken liegenden Wesen mit vier Gliedmaßen lässt sich als die Erde deuten, die vom Himmel, der äußeren Umrandung, umschlossen und begattet wird. Da dieser Prozess aber in der Mythologie der Dogon ein widerständiger ist, kommt es hier nicht zur eigentlichen Menschwerdung, sondern zur Zeugung des Schakals, der sich in seiner Einsamkeit, hervorgerufen durch seine Unvollkommenheit, die Eingeschlechtlichkeit, an seiner Mutter verging. Das innerhalb des „Eis“ gezeichnete Netz könnte auf den Faserschutz deuten, der mit dem Auftreten der Menstruation unumgänglich geworden ist. Zugleich symbolisiert es das göttliche Wasser und den Logos, der von Amma in Form des Regens auf die Erde kam.[3]
Schließlich richtet sich das Auge auf acht angedeutete Kreise, zwei davon mit rötlicher Farbe ausgemalt. Ihre Geschichte ist nicht minder umfassend wie die schon erwähnten, betrifft sie im Zusammenhang mit der Erschaffung des Menschengeschlechts den zweigeschlechtlichen Ursprung der Ureltern. Hier nur so viel: Zu Beginn der Schöpfung standen Menschen, die die besondere Gabe hatten, sich selber zu befruchten und ihre eigenen Nachkommen zu zeugen und so zu den Ureltern der acht Dogon-Sippen wurden. Im Verlauf der Geschichte änderte sich die Gabe der Selbstbefruchtung und die eindeutige Trennung von Mann und Frau wurde zur dominanten Geschlechtlichkeit. In der Mythologie der Dogon wird aber immer noch an das Ideal des Zwillingsgeschlechts erinnert, auf das der Maler durch die zwei in rötlicher Farbe ausgemalten Kreise verweist.[4]
Wie wir sehen, charakterisiert das Bild von Sokey Edorh den ganzen Kosmos einer afrikanischen Ethnie. Als ästhetische Einheit bezieht es sich auf die Schöpfungsgeschichte der Dogon. Zugleich kann man es ähnlich wie die Darstellungen zur biblischen Schöpfungsgeschichte als eigenwillige, ästhetische Metapher des Künstlers in seiner jeweiligen Zeitepoche lesen. Über zwei dunkle Randzonen und Linien, die wie Ackerfurchen angelegt sind, führt Edorh das Auge zum lichten Mittelpunkt. Die Komposition, geschickt mit aquarellartig behandelten Sandfarben angelegt, arbeitet im Zentrum mit Figuren, die den Betrachter unaufhörlich beschäftigen, da das Rätsel, das sie bergen, ein Geheimnis bleibt. Gott lässt sich nicht enträtseln. Er „bleibt“ für den Menschen stets „im Rahmen“, gleichzeitig „sprengt“ er „den Rahmen“, so wie sich auch ein Kunstwerk nie vollkommen erschließen lässt.
Autor: Michael Drechsler