Speckstein, 22 x 27 x 16 cm
Provenienz: African Heritage ltd. 1985, Nairobi, Kenia
Eine Frau wie eine Skulptur erobern
Lange schaust du schon zu ihr hinüber, du schöner Mann hier im Café. Und ich kann dich verstehen, fühlen, wie dein Herzschlag und der Blutdruck langsam in pathologische Bereiche gelangen.
Du siehst nur sie. Sofort möchte jeder Mann und, glaube mir, jede Frau dieses Wesen wie ein neugeschlüpftes Küken in die schützend verschlungenen Handflächen setzen. Sie bezaubert dich, ihre Glieder versprechen dein tiefes Atmen, ihre Haut schimmert wie die Weihnachtskugeln deiner Kindheit oder sanft geschliffener Marmor. „Ivory and Ebony“, die Melodie geht dir durch den Kopf. Ich kann es fast hören.
Wie eine Meißner Porzellanpuppe ist sie zierlich und stark zugleich, als hätte ihr eine Künstlerhand Leben eingekerbt.
Wer so schön ist, kann nicht gut sein, denkst du. Güte und Schönheit sind ein Widerspruch, meinst du. Das weißt du sogar und dennoch ist es dir egal. Ein Mann wie du ist eben schwach, immer ein gefangenes Tier, verstrickt in einem Netz aus Schönheit. Deine Jagd ist Illusion, du bist das Opfer und das ist für dich auch gut so. Jetzt bist du bereit. Schließlich bist auch du schön. Gleich und gleich.
Du willst ihren Namen wissen. Erst einmal nur den Namen. Suchen, Versuchen, Versuchung, Sucht. Der uralte Selbstbetrug, der dann Liebe genannt wird.
Und was versprichst du dir? Sie nächtlich fast zu verspeisen, nur einige Teile dem Morgen zu überlassen und diese in der Nacht zerbröckelten Teile würden am nächsten Tage wieder perfekt ineinander verschlungen ein Ganzes bilden. Sie wird sich am nächsten Tag lächelnd auffalten, dir Leckereien auftischen und mit jenen um die Wette duften, nach Lotus, Moschus, Vanille und Bergamotte.
Glaube mir, das funktioniert nicht. Härter als Marmor und Speckstein würde sie dir widerstehen.
Ich sehe, wie du einen letzten Schluck Cappuccino nimmst, aufstehst und in die Richtung ihres Tisches gehst.
Da stürmt jemand durch die Eingangstür. Ein vierschrötiger Mann humpelt auf ihren Tisch zu. Er reißt sie hoch und küsst sie. Du starrst auf das Paar. Er würde nicht einmal in die größten Hosen des Übergrößengeschäfts in Steglitz passen. Flecken, überall Flecken. Fett und Tomatensause. Sein Bauchspeck hängt wie ein Doppellappen aus der Hose und er riecht unangenehm. Bis zu dir dringt die Mischung aus Schweiß und Bier.
Du bleibst in deiner Starre harren und kannst jetzt ihre Augen sehen.
Liebe.
Autorin: Katharina Weißbach-Hempel
Die Autorin ist Übersetzerin und Dolmetscherin, Diplom-Freizeitwissenschaftlerin und Master für Biografisches und Kreatives Schreiben. Sie ist Dozentin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und bietet auf der Website "Schreibwege" vielfältige Schreibaktivitäten an. Katharina Weißbach-Hempel unterrichtet Kreatives Schreiben in den Wissenschaften und arbeitet als Schreibcoach und Lektorin. Für Kunst Transit Berlin hat sie die Texte zu den Kunstwerken der Monate April 2012 und August 2016 verfasst.