von John Yoga
Acryl/Lw, 122,5 x 56 cm
Holzrahmen (Keilrahmen), 126,5 x 60,8 cm
Provenienz: Gallery Watatu, Nairobi, Kenia 1986
Moisha
„Die
Sonne, die nach dem Feuertanz aufgeht“
Ma’amuni schaute in die Tautropfen, die sich in dem Auffangbecken über Nacht gesammelt hatten. Jeder einzelne funkelte in die Morgensonne.
In der letzten Morgenkühle hielt sie inne, stützte sich auf den Besen und bewunderte die tausend Sonnräder in den Tropfen. Sie verbanden sich zu einem Kunstwerk. Es konnten aber auch die Räder einer Maschine sein, die sie noch nicht kannte.
Sie hatte gelernt, die Tautropfen, kostbarer als die Diamanten in der Mine, aufzufangen und für den kommenden Durst des heißen Tages aufzubewahren. Ma’amuni hatte gelernt, dass diese Tropfen durch die abflauende und aufkeimende gelbe Scheibe am Himmel jede Nacht neu geboren wurden. Die Sonne gab Leben, aber ebenso erbarmungslos fraß sie es gierig, bis die ausgeblichenen Skelette der Antilopen drüben in der Wüste zu weißem Staub zerfielen. Und doch, immer wieder hauchte sie in der dürren Steppe Leben ein, wenn die Menschen und Tiere schliefen. Ma’amuni stellte den Besen an die Wand der Hütte und begann mit kehliger Stimme der Sonne ein Lied zu singen. Sie war sicher, das Lied verschmolz mit dem Rhythmus der Sonne, der Ma’amunis Tag bestimmte.
Die Geschichte von Katharina Weißbach-Hempel zu diesem Bild entstand während einer „gegenstandsgeleiteten Schreibaktion“ in den Räumen von Kunst Transit Berlin. Eine mitgebrachte Uhr leitete die Verfasserin des Textes zum Gemälde von John Yoga. Die Uhr als ein Objekt, das die Unterschiede von Zeit und Ort hervorhebt und zugleich überwindet. Die Autorin springt in eine andere Welt und nimmt das Kunstwerk zum Anlass, sich eine europäische Erzählung von Afrika “auszumalen“. Der Maler indes geht den Weg von der Fülle seiner Empfindungen und Erfahrungen zur nahezu abstrakten Darstellung, um zurück auf die Geisteswelt zu verweisen, die die afrikanische Wirklichkeit bis heute konstituiert.
Noch zuverlässiger als die Sonne war Adamu. Vor zwei Wochen war er in die Stadt aufgebrochen. Sein Gesicht schien im Morgengrauen wie eine dunkle warme Scheibe und er hatte gesagt, er freue sich auf den langen staubigen Weg in die Stadt, weil er wiederkommen werde; ohne sein Erspartes aber mit einer Uhr für Ma’amuni, einer blauen Uhr wie er sie am weißen Handgelenk der einzigen Besucherin des Dorfes vor fünf Jahren gesehen hatte.
„Oh, darling-boy, it’s a SWATCH“, hatte diese so gesagt, als sei das Wunderwerk an ihrem Arm normal wie die Sonne am Himmel.
Eine Woche später steht Ma’amuni wieder in der aufgehenden Sonne vor ihrer Hütte. Adamu ist zurück. Den Tautropfen wirft sie keinen Blick zu, so gefangen sind ihre Augen von dem blauen Armband an ihrem mageren, dunklen Handgelenk. Sie steht Tag für Tag am gleichen Fleck und lernt die Ziffern ihrer Uhr im Lauf der Sonne zu deuten:
Sechs - die Sonne steigt hinter dem blauen Gebirgszug auf.
Zwölf - Sie steht direkt über Ma’amuni und brennt gnadenlos.
Wieder sechs - die Sonne färbt die Steppe rot und fällt dann hinunter.
Ma’amuni lässt sich während dieser Beobachtungstage von niemandem stören. Weder Adamu noch die Kinder oder die Tiere lenken sie von den abwechselnden Blicken zwischen Sonne und Uhr ab.
Am siebten Tag weiß sie genug und entschließt sich, den Rhythmus der Sonne zu vergessen und nie mehr in den Himmel zu schauen. Sie verlernt den Lauf der Sonne schnell.
Und ich frage mich, ob Ma’amuni weiß, dass eine SWATCH beizeiten eine neue Batterie braucht.
Text: Katharina Weißbach-Hempel
Die Autorin ist Übersetzerin und Dolmetscherin, Diplom-Freizeitwissenschaftlerin und Master für Biografisches und Kreatives Schreiben. Sie ist Dozentin an der Alice-Salomon-Hochschule Berlin und bietet auf der Website "Schreibwege" vielfältige Schreibaktivitäten an. Katharina Weißbach-Hempel unterrichtet Kreatives Schreiben in den Wissenschaften und arbeitet als Schreibcoach und Lektorin. Für Kunst Transit Berlin hat sie den Text zum Kunstwerk des Monats April 2012 verfasst.