"Détension", 1997

von Charly d'Almeida

Assemblage: Holz, Blech, Nägel, Speerspitze, Seil
50 x 39 x 3,5 cm
Provenienz: Charly d'Almeida, Cotonou, Benin 1998

Unverkäuflich

 

"Hohoanu wo gbia yeyeado“ (1)
Das neue Seil muss man am Ende des alten anknüpfen (Ewe-Sprichwort)

 

Der Maler und Bildhauer Charly d'Almeida arbeitet ausschliesslich mit Objekten und Materialien aus seinem Heimatland Benin. Für seine Assemblagen benutzt er oft hoch emotional besetzte Gegenstände, die er in eine strenge kompositorische Ordnung fügt. In seinem Werk "Détension" begegnet uns eine begrenzte und zugleich offene Welt. Die Assemblage hat eine relativ geringe Relieftiefe und einen klar strukturierten Aufbau. Ihre Komposition besteht aus einem einfachen Grundgerüst mit zwei vertikalen knapp 50 cm langen Holzplanken und zwei kurzen horizontalen Planken, die einen leeren Viereckraum in der Bildmitte bilden.

Die beiden kleineren Bretter sind durch ein altes grobfaseriges Kokos-Seil miteinander verbunden. Das unten leicht verschlungene und in der Mitte zu einem lockeren Knoten gebundene Seil befindet sich genau in der Mittelachse des Bildes und teilt das Bild mit einem sanft nach links auslaufenden Schwung in zwei Hälften: in eine linke, von einer Speerspitze beherrschte Zone und in einen rechten Bereich, der durch ein rostzerfressendes Stück Metall mit drei Löchern bestimmt wird. Der Augpunkt liegt mitten im Bildzentrum, dort, wo sich der Knoten des Seils befindet.

Im oberen Bildbereich sind die vertikal verlaufenden Planken mit einem fest verdrillten Seil mehrfach umwunden und mit einer Eisenspange fixiert. Auch das mit Rost überzogene Speerfragment ist mit Kordeln befestigt. Die Waffenhülse umgreift schlaufenartig ein harter drahtiger Strick, unten an der Spitze ist wiederum die gesamte Planke mit einer locker gebundenen Kokosschnur umwickelt und läuft zu einer kleinen Schlinge aus. Die knapp 35 cm lange Tüllenspitze aus Eisen hat zwei lange gerade Widerhaken an der Klinge und darüber noch einmal auf beiden Seiten fünf kleinere, leicht gebogene Widerhaken. Über die Klinge verläuft ein Mittelgrad mit X-förmigen Zeichengravuren, die sich zur Spitze hin verkleinern.

Die ganze rechte Bildseite wird vom Motiv des Nagels dominiert. D'Almeida hat in die dünne Eisenplatte in unterschiedlichen Abständen kurze Nägel geschlagen und zur Planke hin umgebogen, dass die Flächenränder wie vernäht erscheinen. An der Seite des Holzträgers ragen waagerecht eingeschlagene Nägel in unterschiedlicher Länge heraus und verlängern das Relief in den offenen Raum hinein. Am unteren Plankenende hat der Künstler einen Riss im Holz mit fabrikneuen silberfarbenen Tackernägeln zusammengehalten. Da auch der Bereich des Bildmittelteils nach unten offen ausläuft entsteht der Eindruck einer gewissen Instabilität.

 

 

Insgesamt ist die Arbeit von äußerst sparsamer Farbigkeit. Die warme natürliche Farbe des Kokos steht in einem harmonischen Verhältnis zu den gebrochenen Brauntönen des Rostes und der Holzlatten. Auf den ersten Blick kaum sichtbar sind die wenigen weißen Farbsprengsel auf der linken Planke und die Spuren von lichtblauer Farbe, die am Bildrand verlaufen.

Mit nur wenigen Mitteln verfolgt d'Almeida die Kompositionsstrategie von Raumstabilierung und -destabilierung. Während die Löcher, Risse und Leerstellen von Alter, Brüchigkeit und Offenheit sprechen, schafft das Nageln, Rahmen, Binden und Verbinden Festigkeit, Begrenzung und Halt. Die Nägel richten sich sowohl nach außen und verweisen auf Kontinuität wie nach innen - eine Gegenlenkung, die eher an Ruhe und Beständigkeit denken lässt.

Auch die gestalterische Form und der ästhetische Erfahrungsprozess werden in einem ausgewogenen Miteinander behandelt. Die strenge Zusammenfügung der Objekte und der Wechsel von geschlossenen und nicht geschlossenen Flächen zeigt, dass hier Abstraktion und "figurative" Körperlichkeit in einem wohl austarierten Verhältnis stehen. Das Körperhafte wird für den Rezipienten in seiner sinnlichen Konkretion geradezu physisch über die Materialien spürbar: die Rauhheit der Planken, die Spitzen und Widerhaken des Speeres, die Schrundigkeit des aufgeplatzten Rostes, die raue Anmutung des zerfaserten Seiles. Die Gefahrenzonen mit Speer und Nägeln verlaufen in vertikaler und horizontaler Richtung und schaffen auch hier einen Ausgleich. Diese Bild-Indizien und das Vorherrschen von eher aggressiven Texturen verweisen auf Verwundung, zunächst in einem ganz allgemeinen Sinne. Zentrale Bedeutung scheinen dem Seil mit der Brückenfunktion und dem Knoten in der Mitte zuzukommen.

Ein ähnliches Künstlerkonzept findet sich bei dem italienischen Maler Alberto Burri in der Serie "Sacco". Burri, der während des 2. Weltkrieges als Militärarzt in Nordafrika stationiert und später in einem amerikanischen Gefangenenlager interniert war, hat die Grausamkeiten des Krieges in seinen Collagen mit armen und zerrissenen Materialien, den sogenannten "sacchi" zu fassen gesucht. Die zusammengenähten Stücke von Säcken in braun und grau können als Erinnerungsarbeit und Bewältigungsstrategie gedeutet werden. Was Burri mit d'Almeida in einem übergeordneten Grundgedanken verbindet, ist die Auseinandersetzung mit der abgelagerten Geschichte der Vergangenheit und die Suche nach Sinnbildern für die Verwundungen dieser Welt.

Die Objekte Seil, Speer und Nagel, die d'Almeida in sein Werk "Détension" eingebunden hat, gehören zweifellos zum Motivbestand aller Kulturen und lassen sich deshalb ohne nähere Hintergrundkenntnisse nur schwer semiotisieren. Auch als Erinnerungsstifter sind sie nur dann tauglich, wenn Konsens über den zu erinnernden Gegenstand besteht, andernfalls wird das Objekt zum "leeren Signifikanten", der nur auf sich selbst verweist. (2) Damit sind wir in einem Deutungsdilemma, wäre da nicht d'Almeida selbst, der immer wieder betont, dass sich die traditionellen Eigenheiten seines Heimatlandes Benin und speziell die Vodun-Religion wie ein roter Faden durch seine künstlerischen Arbeiten zieht. Mit diesem Kontextwissen eröffnen sich erweiternde Sichtweisen.