Charly d'Almeida
Assemblage: Schwemmholz, Blech, Schrauben, Speer, Schnur
103,5 x 26,5 x 4,5 cm
Provenienz: Charly d'Almeida, Benin 1998
Ausgestellt in:
"Afrika heute", Museum der Völker, Schwaz, 2013-14
"Spirit Afrika", Museum Abtei Liesborn, 2021
Preis: 1200 €
Ein Holz mit Geschichte
Menschen hinterlassen Spuren. Ob in der Nähe von Märkten, verlassenen Waldstücken oder an Uferböschungen, auch in Afrika findet man allerorten Überbleibsel der Zivilisation – alte Büchsen und buntes Geschirr, rostige Teile von Fahrrädern, verlorene Schuhe, Plastikmüll, zerbrochene Spielzeuge – alles, was als unbrauchbar zurückgelassen wurde, was ein Fluss oder die Straße anschwemmt. Der Künstler Charly d’Almeida ist seit etlichen Jahren jemand, der solche Stücke sammelt. Er nimmt sie mit nach Hause, weil er den verächtlichen Umgang mit diesen Reststücken im doppelten Sinne anstößig findet – einmal, weil er auf die unsägliche Verschwendung in unserer Wegwerfgesellschaft hinweisen will, zugleich aber auch, weil diese Überbleibsel der Zivilisation ihn zum schöpferischen Handeln inspirieren.
Ein Schwemmholz, eine Speerspitze und ein durchlöchertes Blech sind die wichtigsten Elemente der Assemblage „Traces“. Das Schwemmholz fand er in Allada, einem kleinen Städtchen fünfzig Kilometer nördlich von der Benin-Metropole Cotonou. Die Speerspitze, die wahrscheinlich früher einmal von einem Tuareg als Waffe zum Jagen genutzt wurde, sammelte er mit anderem Jagdgerät auf einer Reise nach Burkina Faso ein. Und das durchlöcherte Blech, wer weiß, wo er es aufgelesen hat. All diese Relikte haben ihre eigene Vergangenheit und tragen Spuren ihres Gebrauchs. d’Almeida nimmt sie zur Hand und schafft daraus etwas Neues, etwas, das sich die ursprünglichen Besitzer nie hätten träumen lassen (vgl. Détension, Kunstwerk des Monats September 2012).
Die dunkelbraune Holzplatte ist schrundig, als hätte sie Jahrzehnte in einem Flussbett gelegen. Früher vielleicht Teilstück einer Hauswand, wurde sie zuletzt wieder den Mächten der Natur ausgesetzt, die die künstlich-glatte, durch Menschenhand hervorgebrachte Oberfläche in ein raues, herrlich gemasertes und von Astlöchern durchbrochenes Brett zurückverwandelte. Wo das Brett droht, auseinandergespalten zu werden, hat es der Künstler – fast wie ein Arzt die Wunde – an verschiedenen Stellen mit einem Seil zusammengenäht. Zusätzlich nietet er Blechstücke auf den Korpus und fügt seitlich Schrauben in das Holz, um scheinbar auseinanderdriftende Teile zusammenzuhalten.
Und nicht nur das: als schöpferischer Operateur schneidet er im oberen Drittel des Holzes ein Stück heraus, das dem Brett ein „Gesicht“ gibt. Dessen Form gleicht einem Schlüsselloch, das sich beim Betrachten öffnet und zugleich verschließt. Auf der Rückseite dieser Freistelle hat er das durchlöcherte Blech angebracht. Der Blick wird auf das Blech gezogen, ohne dass man erkennen kann, was sich dahinter verbirgt. Auch diese Stelle vernäht d’Almeida sorgfältig mit einer Kordel und gibt der Form eine hervorgehobene Struktur.
Daneben befindet sich als weiterer Blickfang die Speerspitze, die ebenfalls mit Schnüren an das Brett geknüpft ist. Sie ist ornamental verziert, und es ist unklar, ob sie je als Waffe oder eher zur Repräsentation gebraucht wurde. Der Künstler jedenfalls hat sie festgezurrt und für „immer“ unbrauchbar gemacht. Sollte der Speer je seinen ursprünglichen Zwecken gedient haben, so ist er jetzt als verrostetes Teilstück eines Kunstwerks nur noch ein Symbol für eine vergangene Lebensweise. Die umstürzenden Zeitläufe der Gegenwart haben die traditionellen Werkzeuge und die Zeichen der Macht überholt. Männliche Kraft und patriarchales Heldentum erscheinen nicht mehr als Voraussetzung der Naturbeherrschung. Gleichwohl können Relikte der Geschichte auch heute noch ihre Wirksamkeit entfalten.
Mittig hat d’Almeida eine kleine Strichzeichnung eingraviert, die auf den ersten Blick übersehen werden kann. Man kann darin ein kurioses Menschlein erkennen, dessen Haare wie Sonnenstrahlen in die Luft stehen. Ein Momentum gegen die Schwere, gegen die Bürde der Erinnerung. Was angesichts der Geschichte wiegt, kann auch federleicht befunden werden, der Mensch ist imstande, sich von den Fesseln der Vergangenheit zu befreien.
Autor: Michael Drechsler