13 cm hoch, 42 cm breit, 28 cm tief, 25 kg
Provenienz: Tengenenge 1991
Aus dem braunen Serpentinstein hat Chengu einen tierähnlichen Schädel mit zwei Brüsten herausgearbeitet. Der braune Serpentin gehört zu den weicheren Serpentinarten, die insbesondere im Osten Zimbabwes, in den Eastern Highlands, zu finden sind. Der braunschwarze Stein hat eine leichte gelblich-ockerfarbene Maserung. Seine Oberfläche ist fast vollständig glatt poliert, nur auf der Kopfhinterseite geht der Bildhauer zur rauhen Textur über und setzt vom Zahneisen geprägte vertikale Linien als Spannungsmoment ein.
Dieses Werk ist von besonderem formalem Reiz, denn es kann sowohl als freistehende Skulptur mit Rundansicht als auch als Hochrelief betrachtet werden, bei dem das Umschreiten nicht zwingend erforderlich ist. Fasst man es als Relief auf, ist die Standfläche auf nur einen einzigen Drehpunkt konzentriert, der Kontakt zum Sockel oder Boden wurde also auf ein Minimum beschränkt, um sich dann in Teilvolumina dem Raum zu öffnen.
Die Skulptur hat eine klare Aufteilung mit einer Hauptansicht. Die
Reduktion auf wenige markante Linien und Winkel im Wechsel mit Rundungen
und sanften Wölbungen geben ihr Dynamik und eine starke Wirkungskraft.
Die Seitenansicht zeigt, dass der Stein von Chengu in der Grundform des "sphärischen Dreiecks" behauen wurde. Seine Spitze weist nach oben, zur Sonne, zur Wärme, zum Leben. Von oben gesehen hat es einen flächigen Charakter und eine integrative Gestalt. Mit seinen etwas höher stehenden abgerundeten Kanten ist es wie ein Gefäß angelegt, dass die Formen auf engstem Raum vereint, so dass diese als im Stein "wohnend" wahrgenommen werden. Auch der Kopf mit halbmondförmiger, aufwärts gebogener Binde, nimmt die Gestaltform des Dreiecks auf. Mit der Weichheit runder Formen wie Augen und Brüsten klingt das Thema der Sexualität und Sinnlichkeit an, denn die Brüste sind prall und voll und streben als nach außen drängende und raumöffnende Energie dem Betrachter entgegen. Das linke Auge ist leicht abgeflacht, das rechte wölbt sich etwas stärker und rund ausgreifend nach vorn. Die Pupille ist hier nicht mittig, sondern an den äußersten Augenrand verschoben, dass eine Seitwärtsblickrichtung entsteht. Die Pupillen - dunkle leere Löcher - suchen bohrend den Kontakt mit dem Betrachter.
Die Skulptur "Mixed Mother Animal" strahlt in ihrer Choreographie der Kontraste eine Atmosphäre des Geheimnisvollen und Unergründlichen aus. Assoziationen zu den steinernen Mensch-Tier-Chimären und Wasserspeiern (Gargoyles) der Romanik und Gotik stellen sich ein, aber Sinnzusammenhänge aus einer anderen Welt in die eigene zu übertragen - darauf hat bereits Michel de Certeau eindrücklich hingewiesen - führen meist in eine hermeneutische Sackgasse.
Chimäre am Dom zu St. Peter in Regensburg
Foto: Michael Drechsler
Dennoch ist es interessant, dass das Thema Mischwesen und Metamorphosen in nahezu allen Kulturen bekannt ist und zu allen Zeiten künstlerisch umgesetzt wurde. Schon bei den ältesten Skulpturen, Zeichnungen und Felsritzungen der Menschheit kamen Darstellungen von Mensch-Tier-Hybriden vor. Für die europäische Moderne des 20. Jahrhunderts sind hier im Medium der Skulptur und des Reliefs vor allem Hans Arp und Max Ernst zu nennen (vgl. Fassadenrelief einer Chimäre von Max Ernst an der Kirche Saint-Martin d'Ardéche).
Und nicht zuletzt die Gentechnologie und die Debatte um die Patentierung von Mensch-Tier-Chimären haben seit den neunziger Jahren dazu geführt, dass sich Künstler aller Genres vor dem Hintergrund eines neuen Menschenbildes und veränderten Naturverständnis mit Hybridkörpern auseinandersetzen.
In Zimbabwe ist die Verwandlung vom Menschen zum Tier ein zentrales Thema insbesondere der älteren Bildhauergeneration und speist sich aus lokalen Quellen und Motivationen. Bernard Matemeras Großskulptur "Man Changing into Hippo" vor der Nationalgalerie in Zimbabwe oder "Metamorphosis" sind hierfür ein künstlerisch herausragende Beispiele.
Man Changing Into Hippo, 1986
Foto: Michael Drechsler
Gift Chengu, der sich in seinen frühen Arbeiten thematisch und formal von Matemera inspirieren liess, ignoriert das Erbe Matemeras nicht, sucht sich aber mit diesem Bewusstsein seinen eigenen Weg zu bahnen. Denn nicht der transitorische Akt, das Durchgangsstadium und die Veränderlichkeit ist sein Thema, sondern das "Wohnen" im Stein und die Unergründlichkeit des Seins.
Text: Angelika Sommer