Bildhauer aus Maseno, Kenia
Speckstein, 19,5 x 20 x 21 cm, 5,5 kg
Provenienz: Gallery Watatu, Nairobi, Kenia 1986
Verkauft!
John Obaso Diang’a, Mentor zahlreicher junger Bildhauer aus
Kenia, hat sich vor allem als Meister der Abstraktion ins Gedächtnis der „Moderne“
und Gegenwartskunst Afrikas eingeschrieben. Abstraktion heißt für ihn jedoch weniger Loslösung von der Realität, sondern ist eher eine Herausforderung mit
real existierenden ästhetischen und bildhauerischen Problemen. So auch in der
von uns vorgestellten Skulptur aus Speckstein. Wie schon der Titel andeutet,
setzt sich Diang’a an diesem kleinen Objekt mit Fragen des Gleichgewichts und
Ungleichgewichts, dem Verhältnis von Größenproportionen, Standfestigkeit und
ästhetischer Wirkung auseinander. Jeder Bildhauer weiß, wie wichtig die Austarierung
einer Skulptur sein kann, besonders wenn ihr „Körper“ hoch und ihr Sockel
schmal ist.
In Diang’as Werk ist der schwere, nach oben zugespitzte Korpus gerade so groß und beugt sich gerade soweit herunter, dass die Skulptur als Ganzes nicht zum Stürzen gebracht wird. Und der Sockel bekommt nicht nur eine Haltefunktion, sondern wird als eigenständiger ästhetischer Beitrag zum vollendeten Gesamtgebilde herausgearbeitet. Auf diese Weise kann das plastische Bildwerk rundum als Einheit betrachtet werden und wirkt stimmig zum Ganzen. Die Dichte und Klobigkeit des Steins verwandelt Diang'a mit der intensiven Herausarbeitung und den spielerischen Aushöhlungen des oberen Teils in Durchsichtigkeit und Transparenz.
Die Steinskulptur „Weight From Above“ sticht wie die meisten
„Soapstones“, die aus der Kisii-Region am Viktoriasee stammen, durch ihre helle
Grundfarbe heraus. Im Sonnenlicht strahlt sie gelb-rötlich-sandfarben wie eine
bedeutungsvolle Ikone. Sie ist durchzogen von dunkleren Einschlüssen und
Maserungen, die der Bildhauer an exponierten Stellen sichtbar gemacht hat. Von
der Kopfseite bis zum Fuß mäandert eine bräunliche Linie wie ein Fluss, der
sich im Laufe der Jahrtausende sein Bett sucht. Die Witterungseinschlüsse
enthalten vermutlich Eisenspuren, die nach den Gesetzen des Zufalls entstanden
sind. Sie reizen die Phantasie, entführen in geographische Landschaftsszenerien
oder in zauberhafte Welten, wie sie auch die Surrealisten mit ihren Frottagen
hervorgekitzelt haben.
So erschließt sich das Objekt als ein Kunststück, das beim Betrachten grundlegende Fragen zum Experiment der Bildhauerei aufwirft. Zugleich birgt die sehende Spurensuche an dem kleinen Werk eine Chance, Räume für Assoziationen und Gedankensprünge zu öffnen, die nur darauf warten, als neue Ideen fruchtbar gemacht zu werden.
Autor: Michael Drechsler