von John Yoga
Holzschnitt/Papier (Nr. 5/10), 58 x72 cm
Holzrahmen/Glas, 74 x 103,8 cm
Provenienz: John Yoga, Eldoret, Kenia 1990
Ausstellung: "Yoga Abstractionism", Goethe Hause Nairobi 1989
Preis: 2600 €
Jwogi in den Plantagen
Als ich John Yoga 1988 besuchte, sagte er mir, dass für ihn die Kunst „an adventure into the unknown world“ sei. Und weiter: „Do not look for African myths and legends in my work but what on art-work!“ Yoga wies damit darauf hin, dass wir als Betrachter uns seine Bildwerke zuerst einmal genau und unvoreingenommen anschauen und in das Abenteuer der unbekannten Welt der Kunst locken sollten. Nicht der Titel eines Kunstwerks oder wissenschaftlich erforschte Hintergründe über den Kontext seien im Zentrum der Kunstbetrachtung, sondern die eigene Wahrnehmung und das eigene Empfinden, das in der Lage ist, Kunst zu erleben und ganz persönlich zu erschließen.
Was also zeigt mir das Gemälde „Jwogi in the Plantation I“?
Im Mittelpunkt befinden sich zwei Augenpaare, die durch eine dynamische Strichlinie fast mit einander verbunden sind, das eine hellblau, das andere bräunlich-lila-farben. Eigentlich sind es gar keine Augen, sondern Spiralen, die eher an die Augen der Schlange „Ka“ im Zeichentrickfilm „Das Dschungelbuch“ erinnern, als an reale menschliche oder tierische Sehorgane. Diese Augen der Ka betörten und verstörten das Dschungelkind Mowgli bisweilen so sehr, dass es seiner selbst nicht mehr mächtig war. Eingebettet, ja fast umklammert, werden diese Augenpaare von grünlichen, gelblichen und braunen Gebilden, die teils die Form von Greifarmen besitzen oder pyramidenartig zwischen den Sehern auftauchen. Einen Körper suche ich vergebens. Die Augenpaare stechen aus einem Wirrwarr von recht- und dreieckigen, halbrunden und gezackten Flächen heraus, aus einer chaotisch erscheinenden Umgebung. Sie wirken ver-rückt und beängstigend. Und dennoch kann ich den Blick von ihnen nicht lassen. Wie ein Sog ziehen sie die Blicke in das komponierte Durcheinander. Wie in einem Gestrüpp verloren bannt mich - Aug' in Aug' - die Macht der Zeichen, deren Substanz sich nicht ergründen lassen will.
Ist also doch Wissen notwendig, um mehr über Bedeutung des Gemäldes „Jwogi in the Plantation I“ zu erfahren?
Trotz des subtilen Hinweises von John Yoga zur Rezeption scheint es mir sicher, dass der Künstler seinen Bildern stets Titel gegeben hat, die elementar mit dem Kunstwerk verbunden sind. Künstlerischer Zufall und sinngebende Absicht halten sich die Waage. Der kulturelle, ethnische und religiöse Kontext spielen keine unbeachtliche Rolle, sondern sind in Zusammenhang mit den aktuell schöpferischen Ausdrucksformen des Schaffens von Yoga verbunden – übrigens auch seiner sozialpolitischen Ambitionen. Eine Annäherung an die Vorstellungswelt des Künstlers hat mir vor einiger Zeit Jennifer Mary Yoga Jagire, Kusine von John Yoga und Philosophin an der University of Toronto, in einer Mail vermittelt. „Jwogi“ sind, wie sie schrieb, in der Ethnie der Jopadhola, der auch John Yoga angehörte, „die Geister oder Dämonen der Vorfahren“. „Jwogi können über die Plantagen wachen oder einfach den Ort heimsuchen, bis sie durch ein Speiseopfer oder eine Zeremonie besänftigt werden. Meistens werden Jwogi, der Plural von Jwok, besänftigt, wenn ihnen gekochtes Essen angeboten wird.“* Der Begriff Jwogi hat nach Kiyoshi Umeya zwei Hauptbedeutungen: „Die eine meint ‚böse Geister‘. Dies ist üblich, wenn es um die ‚Ursachen des Unglücks‘ geht… Die andere Bedeutung ist ‚Geist der Toten‘… Die Geister von Familienmitgliedern sind jwogi, während die Geister von Verstorbenen außerhalb der Gemeinschaft jwok sind… Jwok entspricht im Allgemeinen einem bösen Geist, der den Menschen Schwierigkeiten bereitet. Das Wort jwogi wird jedoch für tote Menschen verwendet... In einem kollektiven Sinn bedeutet jwok böser Geist oder äußerer Geist. In der Zwischenzeit bedeutet jwogi ein Familienmitglied.“**
Mein vorläufiges Fazit: Das Gemälde „Jwogi in the Plantations“ ist eingebettet in kulturelle und religiöse Tradition der Ethnie, der John Yoga angehörte. Gleichwohl ist seine besondere Gestalt ein expliziter schöpferischer Akt des Urhebers ohne Vorbild in seiner Ethnie. Es ist Ausdruck einer spezifischen Empfindung und Gestaltungskraft, die u.a. auf Kenntnissen des Künstlers von der traditionellen Kunst in Afrika beruht, und die darüber hinaus mahnend an die „Ahnen“ erinnert, im Trubel des Alltags nicht die größeren Mächte und Kräfte zu vergessen, die unser Leben bestimmen.
Autor: Michael Drechsler
* Jennifer Mary Yoga Jagire, "’Jwogi’ which means spirits or demons. Ancestral spirits have a place and ongoing roles and status in the Jopadhola society. Jwogi could be looking after the plantations or simply haunting the place until appeased through some food sacrifice offered to them or a ceremony performed. Mostly, Jwogi, which is plural of Jwok, is appeased when offered some cooked food., Mail an Michael Drechsler vom 13.01.2020
** vgl. Kiyoshi Umeya, “The Cospel Sounds like the Witch’s Spell. Dealing with Misfortune among the Jopadhola of Eastern Uganda”, S. 114/117 ff., Publisher: Langaa RPCIG, Kiyoshi Umeya 2022